Seltsame Radiokreise (Odd Radio Circles, ORCs) – Unsichtbare Giganten im All

Seltsame Radiokreise, kurz ORCs (Odd Radio Circles), stellen eine der jüngsten und faszinierendsten Entdeckungen in der Radioastronomie dar. Diese gigantischen, diffusen Ringe aus Radiostrahlung wurden erstmals im Jahr 2019 mithilfe des MeerKAT-Radioteleskops in Südafrika identifiziert. Die Objekte sind außerordentlich selten, was ihre wissenschaftliche Untersuchung und die Entschlüsselung ihrer Ursprünge zusätzlich erschwert. Bisher wurden nur eine Handvoll bestätigter Exemplare dieser seltsamen Phänomene am Himmel gefunden.
Trotz ihrer immensen Größe sind die ORCs nur im Radiofrequenzbereich sichtbar, was ihre „Seltsamkeit“ unterstreicht. Im Gegensatz zu vielen anderen kosmischen Strukturen fehlt ihnen eine deutliche Gegenemission im optischen Licht, im Infrarot- oder Röntgenbereich, obwohl in einigen Fällen diffuser Röntgengas in der Nähe nachgewiesen wurde. Ihre Abwesenheit in diesen anderen Wellenlängenbereichen war ein Hauptgrund dafür, warum sie der modernen Astronomie so lange verborgen blieben. Mit Durchmessern, die Hunderttausende bis Millionen von Lichtjahren umfassen können, sind ORCs oft 10- bis 20-mal größer als unsere eigene Milchstraße.
Die ringförmige Struktur deutet darauf hin, dass es sich um eine Art sphärische Schockwelle handeln muss, die sich im intergalaktischen Raum ausbreitet. Jedes bisher entdeckte ORC scheint eine Galaxie in seinem Zentrum zu beherbergen, was einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ring und der zentralen Galaxie nahelegt. Dies hat zu mehreren Hypothesen über ihre Entstehung geführt, die alle auf extrem energiereiche Ereignisse hindeuten.
Eine führende Theorie besagt, dass ORCs die äußeren Überreste eines galaktischen Superwinds sind, der durch eine intensive, aber kurze Starburst-Phase in der zentralen Galaxie ausgelöst wurde. Während dieser Phase explodieren sehr viele massereiche Sterne als Supernovae, wodurch eine gewaltige Schockwelle aus heißem Gas in den intergalaktischen Raum geblasen wird, die den beobachteten Ring formt. Andere Forscher halten die Verschmelzung von zwei supermassereichen Schwarzen Löchern im Zentrum der Galaxie oder eine Galaxienkollision für die Ursache, da diese Ereignisse ebenfalls die nötige Energie für eine massive Schockwelle freisetzen würden. Jüngste Beobachtungen eines als „Kleeblatt-ORC“ bekannten Systems deuten in diesem Fall stark auf ein Galaxiengruppen-Verschmelzungsszenario als Auslöser hin.
Die Untersuchung von ORCs ist entscheidend, da sie Aufschluss über die Geschichte der energiereichsten Prozesse in Galaxien geben können und somit unser Verständnis der Galaxienentwicklung erweitern. Die Beobachtung eines riesigen Radio-Doppelrings, einer noch selteneren Unterart von ORCs, hat das Interesse an diesen Phänomenen weiter verstärkt und neue Fragen zur Dynamik der Entstehung aufgeworfen. Zukünftige Beobachtungen mit empfindlicheren Radioteleskopen sollen weitere dieser geheimnisvollen Kreise aufspüren und die wissenschaftlichen Berichte mit belastbaren Daten untermauern.
Schlüsseleigenschaften
Morphologie
ORCs präsentieren sich in den Aufnahmen von Radioteleskopen wie MeerKAT als große, nahezu perfekte Kreisstrukturen. Sie bestehen aus diffusem Plasma, dessen Radioemission auf Synchrotronstrahlung hindeutet. Die Ringe weisen oft eine hellere Kante auf, was die Interpretation als sich ausdehnende Schockwelle unterstützt. Diese runde, ringförmige Gestalt ist im Kosmos ungewöhnlich für extragalaktische Radioquellen. Die Morphologie ist entscheidend für das Verständnis ihrer physikalischen Entstehungsmechanismen.
Größe
Ihre Dimensionen sind gigantisch und reichen von Hunderttausenden bis zu über einer Million Lichtjahren im Durchmesser. Aufgrund dieser immensen Größe können ORCs ganze Galaxien-Halos umgeben. Sie gehören somit zu den größten extragalaktischen Radioobjekten, die bisher entdeckt wurden. Die große Ausdehnung impliziert, dass die auslösenden Ereignisse sehr energiereich gewesen sein müssen. Sie sind bis zu 20-mal größer als die Milchstraße.
Sichtbarkeit
ORCs sind extrem leuchtschwach und erfordern die hohe Empfindlichkeit moderner Radioteleskope wie ASKAP oder MeerKAT. Ihre Emission ist fast ausschließlich auf den Radiobereich beschränkt, was ihre Entdeckung verzögerte. In anderen Wellenlängenbereichen wie dem optischen, Infrarot- oder Röntgenbereich fehlen in der Regel diffuse Gegenstücke. Diese spektrale Einzigartigkeit ist ein wichtiges Kennzeichen dieser neuen Objektklasse. Ihre schwache Strahlung deutet darauf hin, dass die Schockwellen sehr alt sind und das Plasma bereits stark abgekühlt ist.
Zentrale Galaxie
Jeder bestätigte ORC zeigt im Zentrum eine Galaxie mit einer messbaren Rotverschiebung. Diese zentrale „Host“-Galaxie deutet darauf hin, dass sie der Ursprungsort des ORC-Phänomens ist. Die Rotverschiebung der Zentralgalaxie wird genutzt, um die Entfernung und damit die wahre physikalische Größe des Rings zu bestimmen. Die Eigenschaften dieser Zentralgalaxien geben wichtige Hinweise auf die Art des auslösenden, hochenergetischen Ereignisses. Die Korrelation mit einer Galaxie unterscheidet sie von einigen anderen Radioquellen am Himmel.
Führende Hypothesen zur Entstehung
Galaktische Winde (Starburst-Ausflüsse)
Diese Hypothese besagt, dass ORCs durch die Schockwelle eines massiven Superwinds entstehen. Der Superwind wird durch eine kurze, aber extrem intensive Starburst-Phase in der Zentralgalaxie ausgelöst. Bei dieser Phase explodieren sehr schnell viele massereiche Sterne als Supernovae. Die Schockwelle stößt heißes Gas aus der Galaxie in das umgebende intergalaktische Medium. Die expandierende Hülle aus Plasma und Schockfront formt schließlich den ringförmigen ORC.
Galaxien- oder Schwarzen-Loch-Verschmelzung
Eine alternative Erklärung sieht die Ursache in einer gewaltigen kosmischen Kollision oder Verschmelzung. Die Ringe könnten durch eine sphärische Schockwelle erzeugt werden, die freigesetzt wird, wenn zwei Galaxien miteinander verschmelzen. Ebenso plausibel ist die Energie, die durch die Verschmelzung von zwei supermassereichen Schwarzen Löchern im Zentrum der Host-Galaxie freigesetzt wird. Diese Ereignisse erzeugen die nötige Energie, um eine Radio-emittierende Hülle über solch enorme Distanzen auszudehnen. Neuere Beobachtungen wie die des „Kleeblatt-ORC“ unterstützen in einigen Fällen dieses Verschmelzungsszenario.
Bekannte ORCs
Name / Bezeichnung | Durchmesser | Bemerkung |
---|---|---|
ORC 1 | ~1,0 Mly | Entdeckt im ASKAP-EMU Survey, zentrale Galaxie sichtbar |
ORC 2 | ~1,5 Mly | Schwache optische Signatur, möglicherweise ältere ORC |
ORC 3 | ~2,0 Mly | Sehr symmetrisch, starkes Radiolicht |
ORC 4 | ~1,2 Mly | Zentralgalaxie mit Jet-Struktur, erste Hinweise auf Aktivität |
ORC 5 | ~3,0 Mly | Größter bisher entdeckter ORC, diffuse Ränder |
Hinweis:
- Mly = Millionen Lichtjahre
- Die Bezeichnungen sind meist survey-spezifisch (ASKAP / EMU) und noch nicht standardisiert.
- Zahlreiche ORCs könnten noch unentdeckt sein, da sie nur in hochsensiblen Radioteleskopdaten sichtbar sind.