Wie wichtig sind die Meeresströmungen für unsere Erde?

Die Ozeane der Erde sind nicht nur gewaltige Wassermassen, sondern auch dynamische Systeme, durchzogen von mächtigen Strömungen, die unser Klima, das Wettergeschehen, die Verteilung von Nährstoffen und das Leben im Meer entscheidend beeinflussen. Diese Meeresströmungen entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel physikalischer Faktoren: Winde, Temperaturunterschiede, Salzgehalt, Erdrotation sowie die Form der Meeresbecken. Zusammen bilden sie ein globales Netzwerk, das oft als „globales Förderband“ oder thermohaline Zirkulation bezeichnet wird.

An der Oberfläche treiben vor allem Passatwinde und Westwinde die Meeresströmungen an. Diese Winde entstehen durch die ungleichmäßige Erwärmung der Erdoberfläche durch die Sonne. In Kombination mit der Corioliskraft, einer Folge der Erdrotation, werden die Wasserbewegungen abgelenkt: auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links. Dadurch entstehen großräumige Wirbelsysteme – sogenannte subtropische Gyren – in allen großen Ozeanbecken. In ihnen bewegen sich Strömungen wie der Golfstrom, der Kuroshio-Strom oder der Brasilstrom in klar definierten Bahnen und transportieren enorme Mengen Wärme von den Tropen in höhere Breiten.

Diese warmen Strömungen sorgen dafür, dass Regionen wie Westeuropa ein deutlich milderes Klima besitzen, als es ihrer geografischen Breite nach zu erwarten wäre. Der Golfstrom beispielsweise transportiert warmes Wasser aus der Karibik entlang der Ostküste Nordamerikas nordostwärts bis nach Europa und beeinflusst dort entscheidend das Wetter und die Vegetation. Gleichzeitig ziehen kalte Strömungen wie der Labradorstrom oder der Humboldtstrom kaltes Wasser aus polaren Gebieten in Richtung Äquator und wirken dort kühlend auf das Klima und die Küstenregionen.

Neben diesen oberflächennahen Strömungen existieren tiefere und langsamer fließende Strömungen, die durch Unterschiede in Temperatur und Salzgehalt – also durch Dichteunterschiede – angetrieben werden. Dieses System ist als thermohaline Zirkulation bekannt. In kalten Regionen wie dem Nordatlantik sinkt kaltes, salzreiches Wasser in die Tiefe, weil es dichter ist. Dieses Wasser beginnt daraufhin eine lange Reise durch die Weltmeere, teils in mehreren Kilometern Tiefe, und kehrt über andere Ozeanbecken letztlich wieder an die Oberfläche zurück – ein Prozess, der Jahrhunderte dauern kann. Diese Strömung wirkt wie ein riesiges Klimaregulierungs- und Verteilungssystem.

Ein weiterer Aspekt der Meeresströmungen sind sogenannte Auftriebsgebiete. An bestimmten Küsten, etwa vor Peru oder Namibia, bewirken Winde, dass Oberflächenwasser vom Land weggetrieben wird. Kaltes, nährstoffreiches Tiefenwasser steigt auf und versorgt das Ökosystem mit Nährstoffen. Dadurch entstehen dort äußerst produktive Lebensräume mit hohen Fischvorkommen, die wiederum Grundlage für die Ernährung in vielen Ländern sind.

Meeresströmungen unterliegen aber auch natürlichen Schwankungen und langfristigen Veränderungen. Ein bekanntes Phänomen ist El Niño – eine periodische Veränderung der Meeresströmungen und Temperaturen im tropischen Pazifik. Während eines El-Niño-Ereignisses schwächt sich der normalerweise nach Westen gerichtete äquatoriale Passatwind ab, warmes Wasser staut sich an der südamerikanischen Küste, und die üblichen Auftriebsströmungen kommen zum Erliegen. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf das globale Klima, von Dürren in Australien bis zu Überschwemmungen in Südamerika. Auch die Gegenphase, La Niña, beeinflusst das Klima in vielen Regionen der Welt.

Zunehmend wird deutlich, dass auch der menschengemachte Klimawandel Auswirkungen auf die Meeresströmungen hat. Studien zeigen Hinweise darauf, dass sich die atlantische Umwälzzirkulation (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört, in den letzten Jahrzehnten abgeschwächt haben könnte. Eine weitere Abschwächung oder gar ein Zusammenbruch dieses Systems hätte dramatische Folgen für das Klima in Europa, Westafrika, Nordamerika und darüber hinaus.

Die Meeresströmungen sind also weit mehr als bloße Bewegungen von Wasser. Sie sind das pulsierende Kreislaufsystem unseres Planeten – unentbehrlich für das globale Klima, die Stabilität von Ökosystemen und das Überleben zahlreicher Arten, einschließlich des Menschen. Ihr Verständnis und ihre Beobachtung sind deshalb zentrale Aufgaben der modernen Ozeanografie und Klimaforschung.


Alle bedeutenden Meeresströmungen der Erde

Atlantischer Ozean

Warme Strömungen:

  • Golfstrom (Nordamerika → Europa)
  • Florida-Strom (Karibik → USA-Ostküste)
  • Nordatlantischer Strom (Fortsetzung des Golfstroms Richtung Europa)
  • Kanarischer Gegenstrom (umgekehrter Verlauf zum Kanarenstrom)
  • Guayana-Strom (Nordostküste Südamerikas)
  • Äquatorialer Gegenstrom (zwischen den beiden äquatorialen Hauptströmen)
  • Südäquatorialstrom (Ost nach West, südlich des Äquators)
  • Norwegischer Strom (Verlängerung des Nordatlantikstroms in die Arktis)

Kalte Strömungen:

  • Labradorstrom (arktisch → Ostkanada)
  • Ostgrönlandstrom (arktisch → südliches Grönland)
  • Kanarenstrom (Nordwestafrika → Äquator)
  • Benguelastrom (Südwestafrika → Norden)
  • Nordäquatorialstrom (Ost nach West, nördlich des Äquators)

Pazifischer Ozean

Warme Strömungen:

  • Kuroshio-Strom (Japan-Ostküste → Nordpazifik)
  • Nordäquatorialstrom (Ost nach West, nördlich des Äquators)
  • Südäquatorialstrom (Ost nach West, südlich des Äquators)
  • Äquatorialer Gegenstrom
  • East Australian Current (Ostküste Australiens nach Süden)
  • Mindanao-Strom (Philippinen → Süden)

Kalte Strömungen:

  • Kalifornienstrom (Kanada/Kalifornien → Süden)
  • Oyashio-Strom (Ostsibirien → Süden, mischt sich mit Kuroshio)
  • Perustrom (Humboldtstrom) (Westküste Südamerikas → Norden)
  • Westwinddrift (Antarktischer Zirkumpolarstrom) – umläuft Antarktis, auch für andere Ozeane relevant

Indischer Ozean

Warme Strömungen:

  • Agulhasstrom (Ostküste Afrikas → Süden)
  • Mozambikstrom (zwischen Madagaskar und Afrika → Süden)
  • Somalistrom (Somalia → je nach Monsunrichtung nord- oder südgerichtet)
  • Südäquatorialstrom (Ost nach West)

Kalte Strömungen:

  • Westaustralienstrom (Australien-Westküste → Norden)
  • Antarktischer Zirkumpolarstrom (Westwinddrift)

Südlicher Ozean / Antarktischer Raum

Wichtige Strömungen:

  • Antarktischer Zirkumpolarstrom (Westwinddrift) – stärkste Strömung der Erde, umläuft Antarktis von West nach Ost
  • Antarktischer Küstenstrom (Ostwinddrift) – verläuft nahe der Küste von Ost nach West
  • Weddellstrom – zirkuliert im Weddellmeer
  • Rossstrom – zirkuliert im Rossmeer

Arktischer Ozean

Strömungen (vorwiegend kalte):

  • Transpolardrift – treibt Eis vom sibirischen Rand durch das Polarmeer Richtung Grönland
  • Beaufortwirbel – kreisförmige Strömung im kanadisch-arktischen Becken
  • Ostgrönlandstrom – verlässt das Polarmeer in Richtung Atlantik

Globale Strömungssysteme (Übergreifend):

  • Thermohaline Zirkulation („Globales Förderband“)
    – Tiefenwasserbewegung durch Temperatur- und Salzgehaltsunterschiede
    – verbindet Atlantik, Pazifik, Indik und Südlichen Ozean
    – wichtige Bestandteile: Nordatlantik-Absenkung, Rückführung über Indik und Pazifik

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